Agilität als Haltung

Agilität und Augenmass
Selbstorganisation erfährt in der Wirtschaft immer mehr Aufmerksamkeit – viele Unternehmen wollen und werden in den nächsten Jahren mit agilen Methoden und Vernetzungsformen ihre Beweglichkeit und ihr Veränderungstempo steigern. Agile Projektmethoden und Konzepte für Selbstorganisation sind dabei gut, um den Einstieg in die Agilität zu finden. Und gleichzeitig haben sie ihre Grenzen und sind nicht 1:1 auf jedes Unternehmen anwendbar.
Unternehmen müssen sich also individuell Gedanken machen, was sie wie mit welcher Geschwindigkeit und mit welchen Mitteln vorantreiben wollen. Nicht jede Aufgabe erfordert Flexibilität, Innovation und interdisziplinäre Vernetzung in gleichem Maße. Natürlich wäre es auch fatal, jeden Prozess, jeden Standard und jede Planung abzuschaffen. Und auch nicht jeder Mitarbeiter einer Organisation kann gleichermaßen mit Entscheidungshoheit und Verantwortungsübernahme umgehen, nicht jede Führungskraft wird Kontrolle gegen Vertrauen von heute auf morgen eintauschen können und wollen.
Gemeinsamer Nenner ist bei allem die Einsicht, dass selbstorganisiertes, agiles Arbeiten für Führungskräfte und Mitarbeiter im Arbeitsalltag weit mehr bedeutet, als sich an die neu eingeführten Prozesse und Zeremonien zu halten.
Der Mensch in der Transformation
Unserer Beobachtung nach rückt die Persönlichkeit der Menschen, ihr Miteinander und damit ihre Reflektionsfähigkeit über das eine wie das andere viel mehr in den Mittelpunkt. Die emotionale Intelligenz des Einzelnen und der Gruppe fängt dann auf, was Hierarchie nicht mehr leistet.
Wo bisher der Chef für Ordnung und funktionierende Abläufe sorgte, entstehen neue Freiräume, die eben auch eine große Herausforderung bedeuten: im Team müssen Entscheidungen getroffen werden, für die bisher die Führungskraft die Verantwortung übernommen hat. Genauso müssen Ressourcen und Kapazitäten selbstverantwortlich eingeschätzt und miteinander ausgehandelt werden.
Zudem spielen in der Selbstorganisation Feedbackprozesse eine sehr zentrale Rolle. Rückmeldungen finden regelmäßig nicht mehr nur im 1:1 Setting statt, sondern können von vielen an einen Einzelnen gerichtet werden oder auch von Mitarbeitern an eine Führungsrolle. Für manche ist das erst einmal schwer auszuhalten. Denn es kommen dabei natürlich auch Schwächen, Fehler, unterschiedliche Selbst- und Fremdbilder ans Licht und zur Sprache. Einen angemessenen Umgang mit dieser neu entstehenden, notwendigen Transparenz zu finden, fällt nicht immer leicht.
Wandel(n) auf allen Ebenen
Auch Führungskräfte müssen lernen. Die meisten sind nicht nur in der Arbeitswelt mit hierarchischen Strukturen groß geworden, sondern auch in Schule, Familie und Universitäten. Dieses über Jahr hinweg erworbene Hierarchiedenken und die entsprechenden Handlungsreflexe lassen sich nicht von heute auf morgen verwandeln. Der Wunsch nach Entwicklung kollidiert allerdings oft mit dem Zeitdruck auf der operativen Ebene und den Budgetvorgaben des Managements.
Dennoch sind Themen wie emotionale Intelligenz, eigenverantwortliche Selbstreflektion und vertrauensvolle Beziehungsgestaltung Dinge, für die Menschen Zeit und Raum brauchen. Da diese Meta-Kompetenzen bislang auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie der Schule und in Ausbildungen viel zu wenig entwickelt wurden, ist die agile Transformation so verstanden eben auch eine zutiefst menschliche.
Fazit
Persönliche und zwischenmenschliche Meta-Kompetenzen sorgen für eine kontinuierliche Selbsterneuerung und dafür, dass Menschen und Organisationen sich selbst verstehen und miteinander weiterentwickeln. Führungskräfte stehen dabei aktuell vor der doppelten Herausforderung, diese Fähigkeiten für sich selbst auszubauen und gleichzeitig neue Räume zuzulassen, in denen Mitarbeiter wiederum ihre Fähigkeiten vertiefen können.
Ganz konkret halten wir als Coaches und Berater für Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung im agilen Kontext dabei folgende Akzente für wichtig – es geht darum
- sich offen und wertschätzend mit neuen Situationen, anderen Meinungen und Haltungen auseinandersetzen zu können, gerade bei Zeitdruck und Komplexität
- mit anderen mögliche Handlungs-und Zukunftszenarien mental und emotional durchspielen zu können ohne vorschnell in Entscheidungsdruck zu verfallen
- mit widersprüchlichen und mehrdeutigen Handlungsimpulsen umzugehen und dabei vertrauensvoller und intuitiver zu werden, sobald die Dinge unvorhersehbar und damit ungewiss werden
- Entscheidungen zu treffen, die für den nächsten Schritt gut genug sind und den Mut zu haben, zu experimentieren und ggf. einmal getroffen Entscheidungen wieder zu revidieren
- sich dem Charme von Fehlern und Niederlagen hingeben zu können und diese neugierig mit sich und anderen im Sinne der kollektiven Intelligenz auszuwerten
- crossfunktional und interdisziplinär über die Grenzen der eigenen Silos hinweg zu kooperieren, sich einzulassen auf neue, auch digitale Arbeitsformate, um kreative Schwarmintelligenz zu entwickeln